Absage an das taggenaue Schmerzensgeld?

Absage an das taggenaue Schmerzensgeld?

(DAV). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 15. Februar 2022 - VI ZR 937/20 ist eine – vorläufige? - Absage an die Berechnung des taggenauen Schmerzensgeldes. Den Hintergrund der Entscheidung bildet ein Verkehrsunfall, dessen Haftung dem Grunde nach außer Streit steht.

Der Kläger war im Rahmen von 13 Aufhalten insgesamt 500 Tage stationär behandelt worden und ist seit dem Unfall zu 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Das Landgericht hatte ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro zugesprochen, das OLG (Frankfurt a.M. - Urteil vom 4. Juni 2020 - 22 U 244/19) dann insgesamt 200.000 Euro, wobei es die Berechnung des Schmerzensgeldes taggenau bestimmt hatte. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und den Streit an das OLG zurückverwiesen, um das Schmerzensgeld neu zu bemessen.

Der BGH hat in seiner Entscheidung einen isolierten Blick auf einzelne Umstände des Falles verworfen und einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls für die Bemessung des Schmerzensgeldes den Vorzug gegeben. Dabei sind 

•    die Schwere der Verletzungen, 
•    das durch diese bedingte Leiden, 
•    dessen Dauer, 
•    das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und 
•    der Grad des Verschuldens des Schädigers einzustellen. 

Insoweit sei zuerst die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei hernach eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen. Dabei sei zu bedenken, dass die Entschädigung sich nicht streng rechnerisch oder schematisch ermitteln lässt. 

Bei der Zugrundelegung des taggenauen Schmerzensgeldes könne hingegen keine schematische Konzentration allein auf die Anzahl der Tage, die der Verletzte auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, vorgenommen werden. Denn es sei darzutun, welche Verletzungen vorliegen, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid beim Verletzten ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung, die individuell zu bemessen ist.

Noch sind die Entscheidungsgründe nicht veröffentlicht, aber der Streit um angemessene Schmerzensgeldzahlungen für Verletzte ist sicherlich noch nicht beendet. Womöglich lassen sich auch die vom Bundesgerichtshof geforderten Parameter bei der taggenauen Berechnung mit berücksichtigen.