Die teuersten 150 m seines Lebens – betrunken auf E-Roller erwischt

Die teuersten 150 m seines Lebens – betrunken auf E-Roller erwischt

(DAV). Fahruntüchtigkeit im Straßenverkehr kommt immer wieder vor. Obwohl es eine Straftat ist, die mit hohen Geld- und Freiheitsstrafen geahndet wird, passiert es trotzdem. Und nicht nur mit dem Auto nimmt man am Straßenverkehr teil, auch mit einem E-Roller, wie in diesem Fall vom Juni 2020 aus Frankfurt. Doch ist dasselbe Strafmaß, das in der Regel zum Einsatz kommt, auch bei einer Strecke von nur 150 bis 200 Metern angebracht? Kann man den Führerschein verlieren oder muss man sogar mit einer Freiheitsstrafe rechnen? Lesen Sie selbst. Im Nachfolgenden wurde das Urteil über einen jungen Mann veröffentlicht, der genau das getan hat. Er ist betrunken nach einem Geburtstag E-Roller gefahren. So viel sei gesagt: Am besten nicht nachmachen.


II. AG Frankfurt , Urteil vom 16. Juni 2020 , Az: 976 Cs - 661 Js 59155/19
StGB § 44 , StGB § 69 Abs 2 Nr 2 , StGB § 69a , StGB § 316 Abs 1 , StGB § 316 Abs 2 , 
 
Leitsatz
Die Regelvermutung der Fahruntauglichkeit in § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist widerlegt, wenn die von dem alkoholisierten Angeklagten mit dem E-Roller zurückgelegte Fahrtstrecke nur 150-200 Meter beträgt.
 
Fundstellen
NZV 2020, 598 (L,K)
Blutalkohol 57, 368-370 (2020) (ST)

Langtext
Tenor

Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt.

Dem Angeklagten wird für die Dauer von 6 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot wird wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von einem Monat seit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung.


Die Zeit der amtlichen Verwahrung des Führerscheins aufgrund des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vom 12.11.2019 ist anzurechnen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.
Angewendete Vorschriften: §§ 316 Abs. 1, Abs. 2, 44 StGB.
 
Gründe
(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
I.

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 30 Jahre alte Angeklagte ist ledig und gelernter Betriebswirt. Er arbeitet derzeit in einem Pharma-Unternehmen als Angestellter im Verkauf und verdient etwa 1500,00 Euro netto monatlich. Der Angeklagte hat keine Unterhaltsverpflichtungen.
Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten enthält keinerlei Eintragungen.
Der Fahreignungsregisterauszug enthält zwar eine Eintragung über eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr aus dem Jahr 2013 mit Rechtskraft aus dem Jahr 2014, welche aber aus dem Bundeszentralregisterauszug bereits gelöscht worden ist.

II.
Der Angeklagte fuhr am 15.10.2019 in Frankfurt am Main gegen 0:55 Uhr mit dem E-Scooter der Marke Word, Kennzeichen … den Schaumainkai. Er und sein Freund kamen gerade von einer Geburtstagsfeier und hatten dort auch Alkohol getrunken.


Es handelte sich bei der Fahrt mit dem E-Scooter um eine spontane Idee. Man ist nach dem Geburtstag den Schaumainkai entlanggelaufen, hat die E-Scooter gesehen und sich damit dann fortbewegt. Der Angeklagte befuhr den Schaumainkai auf einer für sonstige Kraftfahrzeuge gesperrten Straße über etwa 150 bis 200 Meter, wobei er hierbei auch Schlangenlinien fuhr.


Er und sein Freund sind sodann von der Polizei angehalten worden. Eine Blutentnahme wurde angeordnet. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zum Entnahmezeitpunkt um 02:25 Uhr betrug 1,13 ‰

Bei Anstrengung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, hätte der Angeklagte erkennen können, dass er zum sicheren Führen des E-Scooters aufgrund des Grades der Alkoholisierung nicht mehr in der Lage gewesen ist.

III.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung. Die Feststellungen aus dem Bundeszentralregisterauszug beruhen auf der Verlesung desselben vom 27.05.2020 und die Feststellungen aus dem Fahreignungsregisterauszug beruhen auf der Verlesung desselben vom 31.01.2019, deren Richtigkeit der Angeklagte insgesamt anerkannt hat.


Die Feststellungen zur Sache beruhen zum einen auf dem glaubhaften und umfangreichen Geständnis des Angeklagten, sowie auf den weiteren ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erhobenen Beweisen.

IV.
Der Angeklagte hat sich demnach der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB schuldig gemacht.
Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit im Falle des Befahrens des Straßenverkehrs mit einem sonstigen Kraftfahrzeug bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 und mehr auch bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter angesetzt werden kann.
Da diese Werte auf umfangreiche Studien zurückzuführen sind und Beweisregeln darstellen, erscheint dies zweifelhaft. Denn ebengleiche Studien liegen für eine Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter noch nicht vor.


Jedenfalls ist aufgrund des hohen Alkoholisierungsgrades des Angeklagten von 1,13 ‰ und dem Beweisanzeichen des Fahrens der Schlangenlinien eine relative Fahruntüchtigkeit des Angeklagten gegeben gewesen. Damit war dieser nicht mehr in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen.

V.
Bei der Strafzumessung anzusetzen war der Strafrahmen des § 316 Abs. 1 BGB, welcher Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht.
Für den Angeklagten sprach vorliegend seine vollumfängliche geständige Einlassung und seine in der Hauptverhandlung gezeigte Reue. Der Angeklagter hat sich ersichtlich mit seiner Tat auseinandergesetzt und hat dem Gericht auch glaubhaft zugesichert, dass er in künftig gleichgelagerten Situationen von einem derartigen Verhalten Abstand nimmt. Zudem hat es sich um eine spontane Tat gehandelt.


Des Weiteren weist der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten keinerlei Eintragungen auf. Auch der Fahreignungsregisterauszug weist bis auf die nicht mehr zu berücksichtigende fahrlässige Trunkenheit im Verkehr keinerlei Eintragungen auf. Es hat sich zudem um eine nur kurze Strecke von 150 bis etwa 200 Metern gehandelt und innerhalb eines Straßenbereichs, welcher für das Befahren mit sonstigen Kraftfahrzeugen gesperrt ist.


Nach Abwägung aller Strafzumessungsgesichtspunkte erachtete das Gericht eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen.
Die Höhe des einzelnen Tagessatzes war gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten auf 50,00 Euro festzusetzen, § 40 Abs. 2 StGB.
Das Gericht hat weiterhin davon abgesehen, dem Angeklagten nach § 69 StGB die Fahrerlaubnis zu entziehen und hat sich dafür entschieden, lediglich ein 6-monatiges Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB aufzuerlegen.


Gemäß § 69 StGB wird jemandem die Fahrerlaubnis wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, sofern er hierfür verurteilt wird, die Fahrerlaubnis entzogen. Das Gericht entzieht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach Abs. 2 ist dies in der Regel unter anderem dann der Fall, wenn eine Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB, wie hier, vorliegt.


Zwar wird durch die Begehung einer Tat nach § 316 StGB, so wie sie im vorliegenden Fall tatbestandlich gegeben ist, die charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen indiziert. Es muss aber Beachtung finden, dass dies nach dem Gesetzeswortlaut nur in der Regel der Fall ist.


Es ist also im konkreten Einzelfall dem Tatgericht nicht genommen festzustellen, dass gegebenenfalls eine Abweichung von dem Regelfall gegeben ist. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Ungeeignetheit trotz einer Katalogtat auszuscheiden hat.


Vorausgesetzt ist die positive Feststellung von Anhaltspunkten, dass ein Ausnahmefall gegeben ist und die Tat Ausnahmecharakter im Hinblick auf die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hat (vgl. LG Dortmund, Beschluss vom 07.02.2020 – 35 Qs 3/20, Fischer, StGB, 67. Aufl. 2019, § 69 Rn. 22).


Voraussetzung ist demnach unter anderem, dass die zu beurteilende Tat deutlich von dem abweicht, was sich der Gesetzgeber im Falle eines Regelfalls vorgestellt hat und damit nicht mehr per se auf eine charakterliche Ungeeignetheit geschlossen werden kann. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass das Instrument der Entziehung der Fahrerlaubnis keine Strafe ist, sondern eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie hat allein das Sicherungsbedürfnis der Verkehrsgemeinschaft im Blick. Darüber hinaus dient sie nicht der allgemeinen Verbrechensbekämpfung.


Durch diese Maßregel der Besserung und Sicherung soll sichergestellt werden, dass der Straßenverkehr vor Personen geschützt wird, welche ihre persönlichen Interessen über die Sicherheit des Straßenverkehrs stellen und demnach mangels Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gezeigt haben, dass sie vom Straßenverkehr fernzuhalten sind. (vgl. BGH, NStZ 2004,86 ff (87 f.)).


Es sind demnach alle Einzelheiten des Falles zu berücksichtigen um zu beurteilen, ob der Angeklagte aufgrund der begangenen Tat zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aufweist.


Dies ist nach Auffassung des Gerichts hier nicht der Fall. Es handelt sich im vorliegenden Fall um einen Einzelfall, welcher nicht die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB begründet.


Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem E-Scooter um ein neuartiges motorenbetriebenes Gerät handelt.
Nach nach dem Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei einem E-Roller oder E-Scooter zwar gemäß § 1 Abs. 1 der Elektrokleinfahrzeuge-Verordnung um ein Kraftfahrzeug und unterfällt somit grundsätzlich dem Tatbestand des § 69 StGB.


Zu beachten ist aber, dass der E-Roller erheblich von Kraftfahrzeugen sonstiger Art abweicht.
Es bedarf zum Beispiel keiner Fahrerlaubnis zum Führen eines E-Rollers, vgl. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a FEV. Der Roller wiegt nur etwa 20- bis 25 Kilo und fährt nur etwa 20 km/h schnell. Selbst ein Fahrrad könnte schneller fahren.


Zudem darf der E-Roller grundsätzlich nur auf dem Radweg benutzt werden, § 10 Abs. 1, Abs. 2 EKFV. Es besteht darüber hinaus keine Helmpflicht, vgl. § 21 a Abs. 2 Satz 1 StVO.


Demnach unterscheidet sich der Roller als solcher in seiner Eigenschaft erheblich von einem wesentlich schwereren fahrerlaubnispflichtigen PKW oder Motorroller.


Zudem ist auch die Rundumsicht auf dem E-Roller mangels Helmpflicht oder einer Umschließung durch einen umschlossenen Raum wie bei einem PKW wesentlich besser.
Des Weiteren gab der Angeklagte selber an, dass er zum Zeitpunkt, als er sich auf den Roller stellte, hier keinen Vergleich mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs im fahruntüchtigen Zustand im Straßenverkehr gezogen hat. Dies mag daran liegen, dass es keine Fahrerlaubnispflicht für den E-Roller gibt und es in dem Vorstellungsbild des Einzelnen selbstverständlich untersagt ist, fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge im trunkenen Zustand im Straßenverkehr zu führen.


Daher kann nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden, dass jemand, der einen E-Roller im fahruntüchtigen Zustand fährt, dies ebenso mit einem sonstigen Kraftfahrzeug unternehmen würde und daher generell die eigenen Interessen über die Sicherheit des Straßenverkehrs stellt und demnach ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.
Dies wird von der Tatsache bestärkt, dass der Angeklagte den E-Roller auf einer für anderweitige Kraftfahrzeuge gesperrten Verkehrsfläche und nur auf einer Strecke von etwa 150 – 200 Metern geführt hat, womit in diesem Einzelfall weitere erhebliche Zweifel an einer generellen Ungeeignetheit durch die Tat aufkommen. Es handelte sich um eine Fußgängerzone.


Des Weiteren handelte es sich um eine spontane Tat bei Gelegenheit, da der E-Roller, wie üblich, fahrbereit auf dem Gehweg stand. Dies verleitete den Angeklagten spontan zum Fahren aus einer fixen Idee heraus, wobei durch die gegebene Situation die Hemmschwelle zum Führen des E-Rollers im fahruntauglichen Zustand im Vergleich zu einem sonstigen Kraftfahrzeug wesentlich geringer ist.


Die Situation ist nicht mit der Fahrt eines PKW oder Rollers vergleichbar. Denn hierfür ist ein Schlüssel notwendig, welchen man bei sich zu tragen pflegt. In der Regel ist man mit dem motorisierten Gefährt auch bereits zu dem Ort des Trinkens hingefahren, so dass es an der nötigen Spontanität bei Gelegenheit aus der Situation heraus fehlt.
Der Angeklagte hat zudem seine Situation erklärt, die Umstände der Tat reflektiert und auf das Gericht nicht den Eindruck gemacht, dass er derartige Verhaltensweisen auch auf sonstige Kraftfahrzeuge übertragen oder eine Wiederholung des hiesigen Verhaltens stattfinden würde.


Aufgrund Vorstehenden erschien es im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis in diesem Einzelfall zu entziehen.
Das Gericht hält den Angeklagten vielmehr als charakterlich zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geeignet.
Demgemäß war es ausreichend, gegen den Angeklagten ein sechsmonatiges Fahrverbot festzusetzen, § 44 StGB.


Zwar ist das Fahrverbot durch die vorläufige Sicherstellung und amtliche Ingewahrsamnahme des Führerscheins bereits abgegolten, dennoch musste der Angeklagte über ein halbes Jahr ohne seinen Führerschein verweilen, was der Vollstreckung des Fahrverbotes gleichkommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.