Mietwagen und Kardinalpflichten des Autovermieters

Mietwagen und Kardinalpflichten des Autovermieters

(DAV). Im AGB-, Haftungs- und Mietwagenrecht ist immer Bewegung. Zur Frage, wann Haftungsausschlüsse wirksam vereinbart werden können, sollten Rechtsanwält:innen die Augen offenhalten. Diese jüngste, alle drei Bereiche betreffende (durchaus rechtlich umstrittene) Entscheidung lag dem OLG Frankfurt a. M.  - Urteil vom 30.12.2021, Az. 2 U 28/21 - vor:

Das gewerbliche Autovermietungsunternehmen vermietete der gewerblichen (Stamm-)kundin für eine Woche ein Fahrzeug für Fahrten u. a. von Frankfurt nach Berlin und zurück.

Auf dem Weg nach Berlin informierte die Kundin das Unternehmen, dass sie nicht in den zweiten Gang schalten könne. Auf der Rückfahrt geriet das Fahrzeug plötzlich ins Schleudern, wobei ein Gegenlenken nicht möglich war. Das Fahrzeug brach aus und kippte nach links, zog sodann seitwärts über den Fahrbahnrand hinaus in eine Grünfläche. Hierbei geriet der linke Arm der Klägerin durch das Fenster und wurde abgetrennt. Die Mieterin des Fahrzeuges erlitt durch den Unfall schwerste Verletzungen. Eine Replantation des Armes war nicht möglich.

Das OLG stellte dann fest, dass „im Kardangelenk der unteren Lenksäule sei ein Lager bereits bei Fertigung nicht richtig verbaut worden“ und damit das Fahrzeug von Anfang an „prinzipiell nicht verkehrssicher“ gewesen sei. Das Kreuzgelenk habe sich während der gesamten Laufleistung aus der Lageraufnahme herausgearbeitet und sei dann plötzlich während der Fahrt der Klägerin herausgesprungen.

Nach Ziff. 8 der Mietvertragsbedingungen haftete das Unternehmen für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit der Mieter nur bei grobem Verschulden oder fahrlässigen Pflichtverletzungen. 

Die Kundin nahm das Mietwagenunternehmen dann in Haftung für Schmerzensgeld und Rente sowie der Feststellung der Einstandspflicht zukünftiger Schäden. Die Kernfrage bestand darin, ob der Haftungsausschluss wirksam vereinbart war. Das OLG Frankfurt a. M. hat in zweiter Instanz die Ansprüche der Kundin in weiten Teilen zuerkannt, weil das Mietwagenunternehmen für den unverschuldeten Mangel hafte, durch den der Unfall eingetreten sei.

Der o. g. Haftungsausschluss griff nach Auffassung des OLG nicht: Denn der Vermieter hafte auch für unverschuldete Mängel der Mietsache, wenn diese bei Vertragsschluss bestanden und den sog. Kardinalpflichten unterfielen. Die Klausel in den AGB der Autovermieterin wurde damit als unangemessene Benachteiligung nach Treu und Glauben (§ 307 BGB) und somit als unwirksam eingestuft. 

Zwar sei ein Haftungsausschluss grundsätzlich möglich und wohl auch üblich, jedoch hat das OLG damit die Rechtsprechung des BGH zu den Kardinalpflichten auch auf die verschuldensunabhängige (mindest einfache fahrlässige) Haftung erweitert.

Wesentliche Vermieterpflicht sei es, ein verkehrssicheres Fahrzeug zu vermieten, bei dem insbesondere Funktionsfähigkeit von Lenkung und Bremsen vorliegen. Es bestünde sonst für den Mieter eine unangemessene Benachteiligung, wenn der vertraglich vereinbarte Haftungsausschluss auch Schäden aus der Verletzung stehenden Hauptleistungspflichten des Vermieters umfasste. 

Eine Kritik an der Entscheidung besteht darin, dass die Erweiterung der Kardinalpflichten-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von der verschuldensabhängigen auf die verschuldenunabhängige Haftung methodisch mangelhaft auf der Grundlage von § 309 Nr. 7 a) und b) BGB sei. Denn ein Verstoß sei nur bei Verletzung wesentlicher Pflichten aus der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB abzuleiten.

Dies setze eine unangemessene Benachteiligung nach Treu und Glauben voraus. Und die unangemessene Benachteiligung sei erst dann gegeben, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten so eingeschränkt sind, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei. Dass Haftungsbeschränkungen wiederum zu einer (mittelbaren) Vertragszweckgefährdung führen können, wäre der Fall, falls dem Verwendenden kein Grund mehr gegeben ist, die Hauptleistungspflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, bspw. weil im Verletzungsfall keine Schadensersatzhaftung mehr drohte.

Für das Mietrecht im Fall der verschuldensunabhängigen Haftung aus § 536a Abs. 1 BGB ist für anfängliche Mängel die Haftung jedoch gerade nicht an Vorsatz oder Fahrlässigkeit gebunden. Folgerichtig wird argumentiert, dass der Haftungsausschluss nicht vertragszweckgefährdend wirken kann.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Anwält:innen werden beobachten, wie sich die obergerichtliche Rechtsprechung verhalten wird. In jedem Fall sollte individuell geprüft werden, ob die Berufung auf Haftungsausschlüsse auch bei Verschuldensunabhängigkeit tatsächlich greift. Denn dem Haftungsanspruch steht nichts mehr im Wege, wenn der Haftungsausschluss unwirksam vereinbart wurde.